„Hauptsache es wird gedroschen“

Wurzen als sachsenweit bekannte Kaderschmiede für grüne Berufe: Lehrlinge Andreas Engemann (19) und Rico Kieschnick (17) mit Eifer dabei

Das Berufliche Schulzentrum Wurzen dürfte weit und breit das einzige sein, das neben einem eigenen Gewächshaus auch noch acht Gräber zu bieten hat. Gräber? Auf dem Schulhof? – „Wir sind das einzige vergleichbare Haus in Westsachsen, das in grünen Berufen ausbildet.

Zum Landwirt, Floristen oder Gärtner etwa, aber eben auch zum Friedhofsgärtner“, sagt Torsten Günzel, Fachlehrer für Pflanzenbau und Agrartechnik unter Hinweis auf die gepflegten Mustergräber. Hartmut Krenz, Lehrer für Gartenbau, ergänzt: „Wir haben hier einige Klassen, sogenannte Landesfachklassen, die es wegen der insgesamt eher begrenzten Nachfrage in Sachsen nur hier in Wurzen gibt – dazu zählen neben den Klassen der Friedhofsgärtner auch jene für Obstgärtner und Fachkräfte Agrarservice.“

Zu letzteren gehört auch der 19-jährige Hauptschüler Andreas Engemann aus Eckartsberg bei Zittau. Wenn er von Mähdreschern, Traktoren und Häckslern spricht, strahlen seine Augen: „Als kleiner Junge war ich nach der Schule immer aufs Feld geradelt und staunte über die Technik. Ab und zu durfte ich sogar mit ins Fahrerhaus.“ Lenkautomatik und Dreschwerkeinstellung – „So ein Mähdrescher von heute hat jede Menge Hightech an Bord. Im Prinzip brauchst du gar nicht mehr groß zu lenken, kannst dich voll auf das Schnittbild konzentrieren.“ Seine praktische Ausbildung absolviert Andreas im heimischen Landwirtschaftsbetrieb: „Da bin ich immer vier bis acht Wochen am Stück. In Wurzen haben wir danach jeweils zwei Wochen Theorie.“ In dieser Zeit teilt er sich in einer Wurzener Pension das Zimmer mit einem weiteren Berufsschüler. Überhaupt halten die Auswärtigen eng zusammen, bummeln abends gemeinsam durch die Altstadt, essen mal Pizza, mal Döner. „Im Sommer fahren wir nachmittags gern raus nach Machern oder Cunnersdorf und beobachten die Ernte, Hauptsache es wird gedroschen, gehäckselt und gepflügt!“

Andreas ist sich sicher, nach seiner Ausbildung übernommen zu werden: „Allein vier Kollegen gehen bei uns demnächst in Rente.“ Auch sein Klassenkamerad Rico Kieschnick (17) aus Schönfeld bei Annaberg-Buchholz wohnt in den Berufsschulwochen in einer Wurzener Pension. Auch er geht davon aus, nach der Lehre mit Kusshand Anstellung zu finden. Und das nicht nur, weil seine Eltern im selben Betrieb arbeiten und er schon mit 16 auf dem Radlader fuhr. Die beiden Jungs aus dem zweiten Lehrjahr sind in ihrer 18-köpfigen Landesklasse die einzigen Hauptschüler. Was kein Nachteil sei: „Wir sind weder die besten noch die schlechtesten, unsere Noten sind mittelprächtig.“ Beide können es gar nicht mehr erwarten, möglichst bald auf Selbstfahrspritze und Traktor samt Güllefass zu steigen.

Fachlehrer Günzel lobt die beiden Hauptschüler über den grünen Klee: „Wir haben hier alles – Realschüler, Gymnasiasten, Studienabbrecher und auch Hauptschüler. Hauptschüler kommen immer dann gut zurecht, wenn sie für ihren künftigen Beruf brennen, Erfahrungen aus der Praxis hinterfragen. Bestehen sie die Prüfungen im Schnitt besser als mit 3,0, kann ihnen auf Antrag sogar der Realschulabschluss zuerkannt werden.“ Das sei wichtig, wenn sie später eine Fachoberschule besuchen wollen, so Günzel.

Oberstudiendirektor Eckhard Harnisch ist der Leiter des Beruflichen Schulzentrums mit bis zu 600 Auszubildenden. Das Stammhaus befindet sich in der Straße des Friedens, die Außenstelle am Domplatz. In den großzügig sanierten monumentalen Gebäuden werden unter anderem auch künftige Köche, Restaurant- und Hotelfachleute sowie Sozialassistenten ausgebildet. Während die Ausbildung in Bauberufen weggefallen ist, bildet der Unterricht in grünen Berufen den Schwerpunkt in Wurzen – einer Stadt mit vielen Gartensparten, dem Bundessortenamt und eng verwurzelter Obstbaulehre: „Den Wurzener Obstbauverbänden war es 1901 tatsächlich gelungen, den namhaften Wanderlehrer Hermann Wolanke in der noch heute stehenden Villa direkt an der Ausfallstraße Richtung Torgau sesshaft zu machen“, sagt Erik Schulte, Leiter der Prüfstelle Wurzen. Noch bis in die 1930er-Jahre bildete Wolanke in der Außenstelle der Landwirtschaftsschule ganze Generationen von Obstbaumeistern und Obstbaumwarten aus.

So stehen Gewächshaus, Schulgarten und Mustergräber der Berufsschule in guter Tradition, sagt Andreas Müller, Fachleiter für die grünen Berufe. Säen, Pikieren, Topfen – alles wird hier geübt. Der Riesenfundus an Pflanzen erinnert beinahe an einen Botanischen Garten.

Damit das Berufliche Schulzentrum auch weiter aufblüht, dürfe der öffentliche Personen- und Nahverkehr nicht ausgedünnt werden, fordern die Lehrkräfte: „Wir haben schließlich nicht nur Schüler aus Sachsen, sondern auch aus Sachsen-Anhalt und Thüringen.“

VON HAIG LATCHINIAN

Quelle: LVZ vom 22.01.2016

 

Im Gewächshaus: Andreas Engemann (l.) und
Rico Kieschnick werden im Berufsschulzentrum Wurzen
zur Fachkraft für Agrarservice ausgebildet. Foto: Thomas Kube