Statement vom 24. Oktober 2023
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat heute eine neue Industriestrategie präsentiert. Dazu Einschätzungen von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin):
Die neue Industriestrategie des Bundeswirtschaftsministers enthält zahlreiche gute Ideen und wichtige Initiativen. Sie ist jedoch zu stark von den Interessen der mächtigen Industrielobby geleitet und wird zulasten der gesamten Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gehen. Den guten und zielgerichteten Forderungen stehen einige kontraproduktive Vorschläge entgegen, die letztlich die Deindustrialisierung in Deutschland nicht verhindern, sondern eher beschleunigen werden.
Die Industriestrategie betont die dringende Notwendigkeit für die ökologische und wirtschaftliche Transformation Deutschlands. Die Forderung nach einer deutlichen Stärkung öffentlicher Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung ist genauso überfällig wie die Verbesserung der Rahmenbedingungen für private Investitionen. Der Bundeswirtschaftsminister hat recht, wenn er den öffentlichen Investitionen Vorrang vor der Schuldenbremse gibt, denn der Staat hat seit 20 Jahren viel zu geringe Investitionen getätigt und die öffentliche Infrastruktur auf Verschleiß gefahren. Der Abbau von Regulierung, die Erhöhung der Verlässlichkeit und schnellere Genehmigungsverfahren müssen oberste Priorität haben. Die Strategie bleibt aber viele Antworten schuldig, wie dies konkret gelingen soll.
Die Industriestrategie enthält drei zentrale Schwächen: Sie will existierende Wirtschaftsstrukturen zementieren, statt eine notwendige und unausweichliche Veränderung zuzulassen. Zur Ehrlichkeit gehört, dass durch die verschlafene Energiewende und die hohe Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zahlreiche energieintensive Unternehmen in Deutschland in Zukunft nicht überleben können. Die Absicht, alle energieintensiven Industrien in Deutschland in jetziger Größe zu erhalten, ist unrealistisch. Die deutsche Wirtschaft braucht neue Ideen und neue Unternehmen, um die notwendige strukturelle Veränderung voranzubringen. Es werden unweigerlich Unternehmen aus Deutschland verschwinden. Der Versuch der Bundesregierung, dies zu verhindern, wäre kontraproduktiv, weil es das Entstehen neuer Unternehmen erschwert.
Die Industriestrategie des Bundeswirtschaftsministers ist zu stark auf Subventionen und zu wenig auf Wettbewerb und Innovation ausgerichtet. Der Staat muss sicherlich punktuell Prioritäten und Schwerpunkte setzen, so wie beispielsweise bei der Batterietechnik oder bei Halbleitern. Die geplanten Subventionen, beispielsweise für einige wenige energieintensive Branchen durch den Industriestrompreis, wären schädlich, weil alle anderen dadurch höhere Energiekosten hätten und somit im internationalen Wettbewerb ins Hintertreffen gerieten. Der Industriestrompreis ist letztlich eine Subvention fossiler Energieträger und dürfte die Einhaltung der Klimaschutzziele weiter erschweren.
Die geplante Reduzierung globaler Abhängigkeiten ist eine gefährliche Illusion. Kein Land hat in den letzten 70 Jahren so stark von der Globalisierung profitiert wie Deutschland. Der Versuch, Abhängigkeiten zu reduzieren, würde enormen Schaden anrichten, weil es Kosten erhöhen und Arbeitsplätze in Deutschland zerstören würde. Wir können nicht gesamte Wertschöpfungsketten in Deutschland und Europa erhalten. Ziel der Bundesregierung sollte vielmehr sein, die Asymmetrie der Abhängigkeit von China und anderen zu reduzieren und globale Partnerschaften zu stärken. Also nicht die Reduzierung der Abhängigkeit, sondern die Symmetrie der Abhängigkeiten muss das Ziel der Bundesregierung sein.
Wir brauchen heute keine nationalen Industriestrategien, sondern gemeinsame Wirtschaftsstrategien für ganz Europa, wie die ökologische, digitale und wirtschaftliche Transformation gemeinsam gestaltet werden soll, um zentrale Ziele zu erreichen und im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Die europäische Perspektive und die soziale Perspektive kommen in dieser Industriestrategie viel zu kurz.
Wenn die Politik einen großen Fehler der vergangenen Jahre korrigieren sollte, dann ist es, dass die Wirtschaftspolitik nicht die Menschen ignorieren darf, sondern sie mitnehmen muss. Diese Industriestrategie bleibt die Antwort schuldig, was die geforderten Maßnahmen für die Menschen, vor allem für die verletzlichsten Menschen in Deutschland, bedeuten und wie sie sich auf den Wohlstand aller auswirken werden.