Forschungsprojekt „Überall ist Wunderland Wurzen“ – April bis August 2020
Theorie und Praxis, ein ungleiches Paar, Fortschritt aber benötigt beides. Denn eine Theorie ohne praktischen Bezug bleibt eben nur eine Menge an Wissen und Utopien, während die praktische Umsetzung ohne theoretische Grundlagen oftmals nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt.
Und was steht am Anfang einer jeden Innovation? Die Vision. Nichts anderes gilt für „Die Stadt der Zukunft“. Wie kann die Zukunft Wurzens in diesem Rahmen aussehen? Dies galt es im Rahmen des Forschungsprojektes der Universität Leipzig zu beantworten.
Inhalt
Idee und konzeptionelle Vorarbeit
Zum Hintergrund
Städte jeglicher Größenordnung stehen heute vor diversen Herausforderungen, die sich in Abhängigkeit von ihrer (über-)regionalen Lage, funktionalen Bedeutung, Einwohnerzahl und anderen Faktoren voneinander unterscheiden oder ähneln. Um jedoch im zunehmenden Städtewettbewerb bestehen zu können, gewinnen auf Individualität, Stadtgeschichte und Nachfrage ausgelegte Charakteristika an Bedeutung. Gleichzeitig wird sich vielerorts an Best-Practice-Beispielen orientiert, um erfolgsversprechende Ansätze vor Ort umzusetzen. Doch so verschieden die Ausgangssituationen, Strategien, Hemmnisse und Potenziale von Ober-, Mittel- und Unterzentren bis hin zu dörflichen Strukturen auch sind, die Wahrnehmung als attraktiver Wohn-, Arbeits- und Einkaufsstandort wird insbesondere für größere Kommunen wichtiger denn je.
Idee und konzeptionelle Vorarbeit
Da in dem Kontext neben Oberzentren zunehmend auch Klein- und Mittelstädte im Fokus der Wissenschaft stehen, nutzten die Initiatoren Marcel Buchta (Selbstständiger Finanzberater) und Victoria Lehmann (M. Sc. Wirtschafts- und Sozialgeographin mit Schwerpunkt auf städtische Räume) bestehende Anknüpfungspunkte mit der Universität Leipzig. Letztere belegte als damalige Master-Studentin selbst das Modul „Stadtmanagement II“ an dem Institut für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft (ISB), welches sich dem Thema „Zukunft urbaner Handelslagen – die Leipziger Innenstadt“ widmete und u.a. Bestandteil des Forschungsprojektes SURTRADE (Reallabor) war. Ein Artikel in der IHK-Zeitschrift brachte M. Buchta dann auf den Gedanken, ob eine vergleichbare Analyse auch für den ländlichen Raum umgesetzt werden könnte.
Initiatoren V. Lehmann u. Marcel Buchta (Foto: K.-U. Brandt, LVZ)
Nachdem im Juni 2019 die Anfrage im ISB auf großes Interesse stieß, folgten zur Abklärung von Wünschen und Möglichkeiten mehrere Gespräche zwischen Buchta, Lehmann und den wissenschaftlichen Mitarbeiter_Innen, bis dann im Dezember die erfreuliche Zusage kam – das praxisorientierte Modul „Stadtmanagement II“ wird sich im Sommer 2020 mit „Impuls- und Zukunftsstrategien für die Stadt Wurzen“ befassen. Der ersten Abstimmung von Fahrplan und Themenschwerpunkten zwischen den Initiatoren Buchta und Lehmann sowie Jenny Kunhardt und Susan Radisch als Modulverantwortliche folgte zur Konkretisierung und Gewinnung weiterer Ansprechpartner vor Ort am 28. Januar 2020 eine Auftaktveranstaltung im Schloss Wurzen.
Neben den vier Hauptakteuren nahmen Dr. Eberhard Lüderitz (WRC und SiW-Vorstandsvorsitzender), Konstanze Neudert (Stadtverwaltung Wurzen), Peter Sauer (WGW-Geschäftsführer) sowie Roman Grabolle (Citymanagement Wurzen) teil, die im Resultat dank der Bandbreite an Know-how und den vielfältigsten Anregungen ein gemeinschaftlich abgestimmtes Konzept hervorbrachten. Ein Stadtspaziergang zu viert sollte die Veranstaltung abrunden und weitere Impulse für das Semesterprojekt geben, indem Buchta und Lehmann den beiden auswertigen Wissenschaftlerinnen die Vielfalt der Stadt Wurzen zeigten. Schlussendlich wurde bis Semesterauftakt die finale Version der Modulkonzeption erarbeitet und anhand dessen weitere themenspezifische Betreuer_Innen /Expert_Innen/Ansprechpartner_Innen vor Ort akquiriert, die den Studierenden vorrangig während der Erhebungsphase praxisorientierte Anregungen geben und für Fragen zur Seite stehen sollten.
Der Mehrwert für Wurzen
Trotz Engagement und Kooperation von lokalen Akteuren fehlt es im gemeinsamen Prozess der Stadtgestaltung und jahrelanger Auseinandersetzungen mit potenziellen Möglichkeiten teils an der Ideenfindung, während oftmals gute Ansätze einfach in der Pipeline hängen und auf die Umsetzung warten. Das Forschungsprojekt sollte durch den „neutralen, unvoreingenommenen Blick von außen“ helfen, vorhandene Strukturen oder Ideen neu zu bewerten und ggf. alternative Wege aufzuzeigen. Motivation, Offenheit, Kreativität – die praxisorientierte Arbeit der Wissenschaftler birgt enorme Chancen für die Stadt Wurzen und könnte sowohl die Sensibilität und Akzeptanz für sowie Bekanntheit, Image und Identität von Wurzen positiv beeinflussen.
Das Projekt in Kürze
Wie könnte die Stadt Wurzen in den Jahren 2022, 2030 sowie 2050 aussehen? Insgesamt 25 Studierende sollten sich ein Semester lang mit sechs Themenfeldern, die als besonders relevant für die Stadtentwicklung Wurzens zu sehen sind, auseinandersetzen und dabei konkret die Schwerpunkte Identität, Handel und Wohnen sowie Arbeit, Kultur und Stadtökologie bearbeiten („Mobilität“ und „Gemeinschaft“ entfielen aufgrund einer Corona-bedingten Abnahme der teilnehmenden Studenten).
Die Aufgabe bestand im ersten Schritt darin, eine Grundlagenermittlung des Status-Quo durchzuführen. Dem folgte eine Stärken-Schwächen-Analyse (SWOT), um unter Berücksichtigung bestehender und zu erwartender Rahmenbedingungen schlussendlich verschiedenen Szenarien für die weitere Entwicklung Wurzens herzuleiten. Im Resultat sollte auf Grundlage eines selbst definierten Leitbildes eine kurz-, mittel- und langfristige Strategie (Wurzen im Jahr 2022, 2030 und 2050) für jeden Themenschwerpunkt dargestellt werden, ohne jedoch entsprechend des Arbeits- bzw. Zeitaufwandes Anforderungen einer Machbarkeitsstudie zu erfüllen.
Zum Ablauf des Semesters
Trotz der beginnenden Corona-Krise mit temporären Schließungen von Forschungs- und Bildungseinrichtungen im Frühjahr konnte erfreulicherweise an dem Semesterprojekt festgehalten werden, wenn auch in leicht modifizierter Form.
- Mit Semesterstart am 09. April und der Verschiebung der Präsenzzeit von den Studierenden erfolgte der theoretische Input im Rahmen einer E-Learning-Phase sowie selbstständigen Recherchearbeiten. Vorlesungen und Seminare wurden durch Podcasts und Live-Frage-Stunden via Online-Konferenz (u.a. mit der Standortinitiative Wurzen und Wurzener Land e.V.) ersetzt, während die ursprünglich für den 30. April vorgesehene Exkursion der Wissenschaftler nach Wurzen leider ausfallen musste.
- Die eigentliche Semesterarbeit begann mit der Gruppeneinteilung und Erhebungsphase ab dem 07. Mai, bei der je nach Arbeitsgruppe bzw. Thema verschiedene Methoden zum Einsatz kamen (u.a. Kartierung, Beobachtung, Befragungen, Experteninterviews vor Ort).
- In der anschließenden Analyse- und beginnenden Konzeptionsphase wurde unter Berücksichtigung von Ausgangssituation und Trends ein begründetes Leitbild je Gruppe entwickelt und in einer Zwischenpräsentation am 18. Juni per Videokonferenz vorgestellt und diskutiert.
In der letzten Phase der Semesterarbeit entwickelten die Studierenden kurz-, mittel- und langfristigen Szenarien bzw. Visionen für ihr konkretes Thema. Die finalen Ergebnisse wurden durch die sechs Arbeitsgruppen am 06. August in Form einer Plakat- und Endpräsentation im Wurzener Kulturhaus Schweizergarten veröffentlicht und durch Muldental TV aufgezeichnet. Neben den A0-Plakaten, die über mehrere Wochen im Stadthaus Wurzen öffentlich einsehbar waren, musste für einen erfolgreichen Abschluss des Moduls Stadtmanagement II zusätzlich eine Hausarbeit pro Gruppe angefertigt werden (Prüfungsleistungen).
Modulverantwortliche Jenny Kunhardt und Susan Radisch Ergebnispräsentation der Studierenden Plakatschau der einzelnen Arbeitsgruppen
Die Ergebnisse im Überblick
Da die Abschlussveranstaltung aufgrund der Corona-Schutzverordnung leider nur mit einer begrenzten Teilnehmerzahl stattfinden konnte, werden die am 06. August 2020 präsentierten Ergebnisse nun auch allen weiteren Interessierten zur Verfügung gestellt (aus rechtlichen Gründen jedoch ohne Veröffentlichung von Plakaten und schriftlicher Ausarbeitung). Dank der Aufzeichnung von Muldental TV können die Veranstaltungsinhalte zusätzlich >> hier << nachverfolgt und die Plakate bei Interesse im Büro der MB Finanzberatung (Schweizergartenstraße 1D, Wurzen) eingesehen werden (bitte wenden Sie sich an Marcel Buchta oder Victoria Lehmann; Kontakt siehe unten).
AG01 Wurzen in der Region – Identifikation und Marketing
Das Stimmungs- und Meinungsbild der Stadt ist stark geprägt durch rechtsextremistische Tendenzen, was sich trotz starker Heimatverbundenheit wiederum in der lokalen Unzufriedenheit widerspiegelt. Mit Projekten zur politischen Bildung und Demokratiestärkung sollen Image und Identifikation dauerhaft verbessert werden.
Link zur Abschlusspräsentation (Youtube): https://youtu.be/3l9KqbAMH-w
AG02 Wurzen in der Region – Mobilität
(Projektgruppe nicht zustande gekommen)
AG03 Multifunktionalität von Handelsflächen – Die Zukunft des Wurzener Handels
Allgemeine Entwicklungstrends im Einzelhandel, sowohl das Angebot als auch die Nachfrage betreffend, sind auch in der Wurzener Innenstadt spürbar. Durch die Eventisierung des realen Einkauferlebnisses mit neuen Angebotsstrukturen kann die Altstadt das Zeitalter der Digitalisierung und Mobilität für sich gewinnen.
Link zur Abschlusspräsentation (Youtube): https://youtu.be/r5GIHiQ3TcU
AG04 Multifunktionalität von Handelsflächen – Wohnen in Wurzen
Als Wohnstandort birgt Wurzen trotz Alterung und Schrumpfung insbesondere durch Miet- sowie Kaufpreisniveau geeignete Grundlagen für vielfältige Entwicklungskonzepte. Im Wechselspiel verschiedener Akteure zur Unterstützung und Vermarktung des lokalen Immobilienmarktes sollen verschiedene Ziel- bzw. Altersgruppen angesprochen werden.
Link zur Abschlusspräsentation (Youtube): https://youtu.be/-O9-ojfkwRc
AG05 Multifunktionalität von Handelsflächen – Arbeiten in Wurzen
Während Industrie und Handwerk stark vertreten sind, mangelt es der jungen Bevölkerung als potenzielle Azubis und Arbeitnehmer an der Zufriedenheit, um in Wurzen zu bleiben. Auf unterschiedlichen Maßstabsebenen kann sich die Stadt jedoch zu einem innovativen Bildungs- sowie Arbeitsstandort mit historischem Bezug entwickeln.
Link zur Abschlusspräsentation (Youtube): https://youtu.be/-O9-ojfkwRc
AG06 Orte der Begegnung – Gemeinschaft
(Projektgruppe nicht zustande gekommen)
AG07 Orte der Begegnung – Kulturhaus Schweizergarten
Insbesondere in Zeiten des demographischen und gesellschaftlichen Wandels ist ein breites Kulturangebot essenziell, um verschiedene Alters- und Nutzergruppen ansprechen zu können. Durch die Revitalisierung des Schweizergartens kann sich innerhalb der Stadt Wurzen ein kultureller, demokratiefördernder Hotspot entwickeln.
Link zur Abschlusspräsentation (Youtube): https://youtu.be/-wtZtugw1Jg
AG08 Orte der Begegnung – Stadtgrün
Die aktuelle wie auch künftige Bedeutung von Stadtgrün bleibt ein wesentlicher Aspekt in vielerlei Hinsicht. Dabei nimmt der Stadtpark Wurzen bereits heute nicht nur aufgrund der Fläche einen hohen Stellenwert ein. Als Teil der „Grünen Niere“ kann durch die geschickte Verknüpfung mit historischen Elementen der Stadt ein überregionaler Anziehungspunkt für verschiedenste Besuchergruppen geschaffen werden.
Link zur Abschlusspräsentation (Youtube): https://youtu.be/H9XI2fbzU1w
Fazit & Ausblick
Wie die angehenden Wissenschaftler_Innen in ihren Semesterarbeiten verdeutlichten, kann die Stadt Wurzen mit vielversprechenden Standortfaktoren punkten. Gleichzeitig braucht es jedoch durchdachter Strategien, um einerseits bestehende Hemmnisse und Schwächen zugunsten einer nachhaltigen Stadtentwicklung abzubauen und andererseits an den Chancen anzuknüpfen. Gemäß der Zielstellung eines visionären Ausblickes für die Stadt Wurzen wurde im Rahmen des Semesterprojektes ein Grundstein gelegt, den es sich nun aufgrund seiner weitestgehend gesamtheitlichen Betrachtung von insgesamt sechs Themenfeldern mit jeweils drei Zeithorizonten weiter zu verfolgen lohnt. Die Querschnittsthemen Identität, Handel und Wohnen sowie Arbeit, Kultur und Stadtökologie wurden entsprechend ihrer Relevanz für die Zukunftsfähigkeit Wurzens bewusst gewählt und in der Vergangenheit bereits an einigen Stellen durch verschiedene Akteure aufgegriffen.
Die mitunter wiederkehrenden Erkenntnisse (das Rad muss nicht neu erfunden werden) verdeutlichen allemal, dass die Potenziale in und um Wurzen noch lange nicht ausgeschöpft sind. Ob und in welcher Form die gegebenen Impulse für 2022, 2030 sowie 2050 im Nachgang jedoch tatsächlich in die Realisierung kommen, liegt letztendlich immer in den Händen lokaler Entscheidungs- und Handlungsträger. Die Standortinitiative ist in jedem Fall dankbar für sowohl die Zusammenarbeit mit als auch die Ergebnisse von der Universität Leipzig und gleichzeitig bestrebt, weiterhin einen positiven Beitrag für die Stadtentwicklung Wurzens zu leisten. Wir stehen bei Fragen und Anregungen gern zur Verfügung und hoffen weiterhin auf enthusiastische Mitstreiter, denen die Entwicklung der Stadt Wurzen und des Wurzener Landes am Herzen liegt. Lassen Sie uns gemeinsam als gutes Beispiel vorangehen!
Kontakt
Bitte wenden Sie sich bei Fragen zum Projekt per Mail an Victoria Lehmann und Marcel Buchta: buero<at>marcelbuchta.de