Technologie aus der Region: Container gehen mit sechs Monaten Verzug auf die über 2000 Kilometer lange Reise nach Nischni Nowgorod
Von Kai-Uwe Brandt
Wurzen. Ob Hammerkopffilze für den berühmten Bechstein-Flügel, glanzvolle Lampen der Leuchtenmanufactur Wurzen oder Elektrokettenzüge von der Liftket Hoffmann GmbH – wenn es um Spitzenprodukte geht, die weltweit Abnehmer finden, genießen Unternehmen aus Wurzen einen exzellenten Ruf.
So auch die Cryotec Anlagenbau GmbH in der Dresdener Straße, die erst kürzlich eine kompakte Stickstoff-Erzeugungsanlage im Wertumfang von drei Millionen Euro nach Nischni Nowgorod, der fünftgrößten Stadt Russlands und dem Geburtsort von Maxim Gorki, lieferte. Die Montage der Anlage, welche hochreinen gasförmigen und flüssigen Stickstoff für die Mikroelektronik-Industrie erzeugt, erfolgt in den nächsten Wochen vor Ort und wird dabei vom Fachpersonal aus Wurzen begleitet. „Das Projekt beschäftigte unser gesamtes Team über 16 Monate, da insbesondere die Klimabedingungen in Russland zu berücksichtigen waren. Deswegen wurde der Großteil der Anlage in Container eingebaut, die beheizt und gekühlt werden können“, berichtet Geschäftsführerin Corinne Ziege. Mit der Inbetriebnahme rechnet sie im September oder Oktober.
Bundesamt für Ausfuhrkontrolle verzögert den Reisestart
Leicht fiel den 35 Mitarbeitern der Abschied von den Modulen und Containern allerdings nicht, erwähnt die 47-Jährige. Denn im Gegensatz zu Konkurrenten bleibt das Produkt bei Cryotec von der Entwicklung der Idee bis hin zur kompletten Fertigung in einer Hand. „Und dann ist es natürlich verständlich, wenn man das Gefühl hat, als würde man sein Baby verlieren.“ Doch fernab der Emotionen musste das Unternehmen vor allem mit Problemen bei der Auslieferung kämpfen, weshalb die fertige Anlage gut sechs Monate lang auf dem Firmengelände stand.
Anlass dafür gab das Bundesamt für Wirtschafts- und Ausfuhrkontrolle (BAFA), welches zum Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums gehört und sich als Genehmigungsbehörde an den internationalen und gesetzlichen Verpflichtungen orientiert. Zwar lag das Okay der BAFA zunächst vor, so Ziege, wurde dann aber im Januar des Jahres annulliert. „Ich hätte nie gedacht, wie sehr Export-Sanktionen gegen Russland die wirtschaftliche Situation von mittelständischen Unternehmen beeinflussen.“
Die Cryotec GmbH hat weltweit Referenzobjekte
Um dennoch die Anlage auf die über 2000 Kilometer weite Reise schicken zu können, setzte die Cryotec-Geschäftsführerin Himmel und Hölle in Bewegung. Sie schrieb an die Wirtschaftsministerien in Berlin und Dresden, bat die Industrie- und Handelskammer, den Bundesvorsitzenden der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Carsten Linnemann, sowie die Bundestagsabgeordnete des Landkreises Leipzig, Katharina Landgraf, und den Landtagsabgeordneten Kay Ritter aus Wurzen um Hilfe. Ihr Bemühen fruchtete dank der Fürsprecher. Im Juni erhielt die Firma eine neue Genehmigung und versandte nun endlich den zweiten Teil der Anlage. „Es war für alle Beteiligten eine wahre Geduldsprobe, die ein glückliches Ende fand.“
Im Übrigen zählt die russische Industrie keineswegs zum einzigen Kundenkreis der Anlagenbauer. Apparaturen Made in Wurzen, darunter Luftzerlegungs- und Flüssigkeitsanlagen sowie CO2-Technologien, sind nicht nur international begehrt und ebenso bewährt. Zu den Referenzobjekten gehören mittlerweile Einrichtungen in Afrika, Südamerika, in Australien oder im Nahen Osten. Allein drei Anlagen verließen 2020 die Dresdener Straße, unter anderem für die Niederlande und Italien.
Wurzener Firma mit langerTradition im Anlagenbau
Die Cryotec GmbH setzt damit eine lange Tradition des Anlagenbaus fort, die schon 1879 mit der Firma Schütz & Hertel begann. Das Unternehmen in seiner heutigen Form gründete am 17. August 1995 Diplom-Ingenieur Peter Bienert, der bis 1990 als Abteilungsleiter für Apparate- und Anlagenentwicklung im volkseigenen Betrieb MAFA tätig war. In die Selbstständigkeit ging der Bennewitzer allerdings schon 1991 mit dem Cryotec Ingenieurbüro und bot im In- und Ausland umfangreiche Erfahrungen auf dem Gebiet der Erzeugung, Verflüssigung und Verdichtung von Gas an. 2009 erwarb die EPC Group, ein familiengeführtes Ingenieur- und Anlagenbauunternehmen aus Arnstadt (Thüringen), den Spezialisten aus Sachsen. Sitz des Betriebes ist seit April 2015 das Gelände der früheren Ersten Baugesellschaft Leipzig AG in der Dresdener Straße 76. Hier verfügen die Fachleute über 2000 Quadratmeter Fertigungs- sowie über mehr als 5000 Quadratmeter Lagerfläche.
Corinne Ziege löste im April 2018 den damaligen Geschäftsführer Lutz Hoffmann ab. Die studierte Diplom-Geografin stammt aus Gera und begann im Oktober 1999 ihre berufliche Laufbahn bei der EPC Group. 2009 wechselte sie dann zu Cryotec, arbeitete in Wurzen als Leiterin Projektmanagement und Prokuristin. Unter ihrer Ägide wurden seither auch Anlagen für Spezialgase wie Helium und für die Herstellung von Wasserstoff ins Portfolio aufgenommen. Kommentar
Quelle: LVZ vom 29.07.2021
Die Verladung der Cold Box NG 600: Die Montage der einzelnen Module erfolgt vor Ort in Nischni Nowgorod. September/Oktober soll die Anlage Made in Wurzen dann in Betrieb gehen. Foto: Cryotec GmbH