Versteckte Perle: Wurzen will sich für die Zukunft rüsten

Standortinitiative und Stadt stellen Studie über Wanderungsbewegung vor und diskutieren darüber

Wurzen.Wie kann sich Wurzen für die Zukunft rüsten? Eine Frage, um die es Anfang der Woche im Ratszimmer 151 des Stadthauses ging.

In den Verwaltungssitz der Kommune hatten Oberbürgermeister Jörg Röglin (parteilos) und der Vorstand des Vereins Standortinitiative Wurzen und Wurzener Land (SiW) geladen, um über eine Studie zur derzeitigen Wanderungsbewegung in Sachsen zu informieren und danach mit den Gästen über Folgen und Chancen für die Muldestadt zu diskutieren.

Jenes Gutachten des wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Beratungsinstituts Empirica sorgte mit Veröffentlichung im Herbst 2016 bereits für Gesprächsstoff. Untersucht wurde darin im Auftrag der Sächsischen Aufbaubank, des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie des Verbandes sächsischer Wohnungsgenossenschaften das sogenannte Schwarmverhalten in Sachsen. Was hinter dem Begriff steckt und welche Details die Datensammlung außerdem verrät, erläuterte zunächst Mitautor Lukas Weiden den knapp 40 Besuchern. Unter ihnen befanden sich vor allem Unternehmer und Vertreter verschiedener Institutionen, aber auch die Stadträte Jens Kretzschmar (Linke), Kay Ritter und Landtagsabgeordnete Hannelore Dietzschold (CDU) sowie Sabrina Ryborsch und Thomas Zittier (Bürger für Wurzen). Das Podium besetzten Stadtoberhaupt Röglin, Sven Mittenzwei, Geschäftsführer der Wohnungsgenossenschaft Wurzen, SiW-Vorsitzender Eberhard Lüderitz und die beiden SiW-Vorstände Katrin Hussock sowie Ulrich Heß.

Hintergrund der Expertise, so Weiden, sei einerseits der Zustrom von Einwohnern für Leipzig oder Dresden und andererseits die unveränderte Abnahme der Einwohnerzahl im Freistaat. „Diese Umverteilung der Bevölkerung zulasten fast aller Landesteile und zugunsten ausgewählter Städte nennen wir Schwarmverhalten.“ Insbesondere werde der Ortswechsel und somit die urbane Ballung durch die „Geburtenjahrgänge nach dem Pillenknick“, also 1974 bis 1978, verursacht. Mit Folgen. Momentan partizipieren lediglich vier Städte vom Trend – Leipzig, Dresden, Freiberg und Chemnitz. Ferner wachsen laut Weiden weitere neun Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern, zum Beispiel Markkleeberg, Radebeul, Freital und Pirna. 24 Kommunen gleicher Größe gehören indes zu den Verlierern – unter anderem Riesa und Grimma.

Jedoch gebe es innerhalb der Gruppe von 383 Kommunen, die aufgrund des Schwarmverhaltens schrumpfen, erhebliche Unterschiede, fügte kurz darauf Weiden an. Nämlich solche, die in alle Richtungen Einwohnerverluste beklagen müssen, und jene, die zwar Zugewinne aus dem näheren Umland verbuchen, dennoch die Wegzüge in Richtung der Schwarmstädte nicht kompensieren können. Und hierunter zählt Wurzen. Eine „versteckte Perle“, wie die Muldestadt von Empirica bezeichnet wird. Als Beweis fügte Weiden zugleich eine Statistik für den Zeitraum 2009 bis 2014 an. In den fünf Jahren verzogen aus Wurzen 404 Personen – 371 nach Leipzig, 22 nach Berlin und elf nach Dresden. Dagegen wurde die Stadt für 357 Personen zum neuen Wohnort – 306 aus Leipzig und 51 aus Nordsachsen. Fazit des Diplom-Volkswirts zum Ende seines Referats: Wichtig sei es angesichts der Entwicklung, die zentralörtliche Funktion von Einzelhandel bis Gesundheit zu stärken, Flüchtlinge als Chance zu sehen und Wohnungsangebote zu schaffen.

Eben darauf kamen im Anschluss die Podiumsgäste zu sprechen. Ideenmeisterin Katrin Hussock regte an, dass Stadtmarketing wieder zu aktivieren und schnellstens einen Koordinator einzusetzen. „Die Städte um Leipzig schlafen nicht.“ Mit Blick auf den Wohnungsmarkt stellte Sven Mittenzwei, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsgenossenschaft, fest, dass es an hochwertigem, modernem Wohnungsbau mangele. „Da liegt es im Geschick der Stadt, solche Grundstücke in ruhiger Lage zu entwickeln.“ Wenn dies Wurzen nicht schaffe, würden es die Gemeinden ringsum tun, warnte er. Überdies bat Mittenzwei darum, die aus dem Jahre 1992 stammende Gestaltungssatzung für die Altstadt einmal kritisch zu überdenken und neu aufzulegen.

Themen, wie das schnelle Internet oder das Image Wurzens, spielten schließlich in der Diskussion mit den Besuchern eine Rolle. Schon deswegen empfahl Ulrich Heß, die Debatte um die Zukunft nicht abreißen zu lassen, sondern intensiv in verschiedenen Gremien fortzuführen.

Kommentar

VON KAI-UWE BRANDT

 

Wurzen von oben: Noch vor 40 Jahren lebten in der Muldestadt
über 24 000 Einwohner. Heute sind es mit den Ortsteilen nur
noch etwas über 16 000.Foto: Andreas Röse